Medien aller Art bombardieren uns quasi täglich mit neuen Berichten aus Wissenschaft und Forschung. Gesundheit ist ein beliebtes Themengebiet und besonders Ernährung und Diät sind Unterthemen, die viel Aufmerksamkeit garantieren. Die primäre Quelle sind dabei die veröffentlichten Studien, die in vielen Fällen durch Wissenschaftsmagazine in mehr oder weniger menschliche Sprache verpackt werden.
Es ist gut und wichtig, dass sich die Forschung um unseren Gesundheit kümmert, aber eigentlich sind solche Studienergebnisse äußerst selten dafür gedacht als direkte Handlungsempfehlung in unserem Alltag zu dienen.
Das sorgt für allerlei Verwirrung, denn alle paar Tage titelt irgendjemand damit, dass Forscher die neue Wunderdiät gefunden hätten oder den Beweis erbracht hätten, dass eine populäre Ernährungsform Unfug oder sogar schädlich sei.
Und wir, wir sitzen immer wieder da und müssen uns fragen: soll ich nun Kalorien oder Kohlenhydrate zählen, mach ich FDH oder Low Carb?
Moderne Ernährungsmodelle im Überblick
Obwohl es viele verschiedene Diätmodelle gibt, lassen sich die meisten doch in eines von sehr wenigen Lagern stecken.
Energiebalance-Diäten
Das ist der Klassiker nach dem Prinzip: wenn weniger Energie zugeführt wird als verbraucht wird, nimmt man ab. Welche Lebensmittel das sind spielt dabei eigentlich keine Rolle und alle Kalorien sind gleich.
Hormonbalance-Diäten
Dazu gehört unter anderem Low Carb und Keto. Hier stehen nicht die Kalorien im Vordergrund, sondern die Annahme, dass bestimmte Lebensmittel und Nährstoffe negative oder positive Effekte auf den Stoffwechsel haben; bei LC und Keto ist es das Kohlenhydrat-Insulin-Modell.
„Andere“ Ernährungsweisen
Unter „andere“ ordne ich ganz frech mal die Diäten ein, die argumentativ (aus unserer Sicht) auf eher tönernen Füßen stehen, dazu gehören vegetarische/vegane Ernährung, Clean Eating oder hochkomplizierte Konstrukte wie die Blutgruppendiät, Schlank im Schlaf und viele andere. Bei machen wird auch Lifestyle, Gesundheit und Abnehmen wild gemischt.
Was ist Intermittierendes Fasten?
Intermittierendes Fasten, „intermittent fasting“ auf englisch oder abgekürzt auch IF ist in aller Munde. Mehr dazu findest du Was genau das ist erfährst du in unserem Artikel „Intermittierendes Fasten – die tägliche Fastenkur“
Die meisten heute relevanten Methoden, auch in der Gruppe der „anderen“ laufen am Ende auf Energiebalance oder Hormonbalance hinaus, auch wenn sie oft nicht so ausgewiesen werden. Auch die Ernährungswissenschaft konzentriert sich letztendlich nur auf diese beiden Thesen, weil es einfach keine anderen biologischen Mechanismen gibt, die unseren Körperfettanteil regulieren.
Ist Kalorien zählen oder Low Carb besser zum Abnehmen?
Das ist die Gretchenfrage, die alle beantworten wollen: ist es nun besser Kalorien zu zählen oder Kohlenhydrate zu reduzieren. Oder gar beides?
Die schlechte Nachricht ist, dass dir das niemand wirklich sagen kann ob man nun Kalorien oder Kohlenhydrate zählen soll. Auch nicht die Ernährungswissenschaftler mit ihren Studien, Laborversuchen und riesigen Datenmengen. Natürlich, wenn mal wieder eine große Publikation das Licht der Welt erblickt, dann möchten die durchführenden Forscher gerne ernstgenommen werden und ihre Ergebnisse als endgültige Wahrheit betrachten.
Aber man darf einfach nicht vergessen, dass so ziemlich jede strittige Frage um die es bei diesen Forschungen geht in der Vergangenheit mehrfach widerlegt und/oder nachgewiesen wurde.
Wenn du lange genug suchst, findest du vermutlich ein paar Dutzend Studien, die den Zusammenhang zwischen Kohlenhydraten, Blutzucker und Insulin entweder nachweisen oder widerlegen. Und gleichermaßen Arbeiten, die unterschiedlichen Lebensmitteln verschiedene Auswirkung auf das Körpergewicht attestieren, trotz gleicher Kalorienmenge – oder eben solche, die derartige Unterschiede nicht entdecken konnten.
Höchstwahrscheinlich gibt es einfach kein bestes Ernährungsmodell das für alle Menschen und Situationen gültig ist.
Für Diabetiker, die Ihren Blutzucker nicht mehr gut regulieren können oder einfach Leute die kaum körperlich aktiv sind, ist es eher keine gute Idee mit einer kohlenhydratreichen Ernährung abnehmen zu wollen.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen mit gestörtem Fettstoffwechsel die nicht so gut mit fettreichen Lebensmitteln klarkommen – LCHF oder Keto sind da nicht eben die erste Wahl, traditionelle Ernährung mit mehr KH und weniger Fett passt hier möglicherweise besser. Oder vielleicht auch irgend eine individuelle Lösung dazwischen?
Weil, eigentlich ist es völlig unwichtig, welche Diät im Labor theoretisch gewinnt. Denn einerseits ist die Metrik, die in einer Untersuchung angesetzt wird um einen Gewinner zu ermitteln, nicht zwangsläufig deckungsgleich mit den Bedürfnissen jedes Abnehmwilligen draußen in freier Wildbahn. Und auf der anderen Seite kommt es sowieso darauf an, was für dich persönlich überhaupt praktisch durchführbar ist.
Lass uns hypothetisch sein und ein bisschen übertreiben.
Stell dir vor, die wissenschaftlich nachgewiesen beste Diät besteht aus echtem Beluga-Kaviar, frisch gefangenem Lachs und täglich eingeflogenen Mangos. Außerdem musst du sämtliches Gemüse selber anbauen und ernten. Rindfleisch darf nur von allerhöchster Qualität sein und Getreidemehl darf nur taggleich gemahlen worden sein.
Diese Liste ist natürlich völliger Käse. Aber auch wenn das wirklich und wahrhaftig die Wunderdiät wäre, die dich für immer fit und schlank macht… kein Mensch kann sich das leisten, weder zeitlich noch finanziell. Es ist einfach nicht praktikabel, egal was die Wissenschaft herausgefunden hat. Und damit nett to know, aber wertlos.
Genau das gleiche gilt für die Realität: wenn du schon 10x versucht hast mit Low Carb abzunehmen, aber es einfach nicht durchhalten kannst oder dich noch nach Wochen mit der Umstellung quälst, dann ist es vielleicht einfach nichts für dich?
Und wir alle kennen ein paar Leute, die Jahr für Jahr endlich mal „weniger essen“ oder einfach FDH machen wollen, aber jedes Mal wieder erfolglos bleiben. Auch da ist die Frage, ob Kalorien zählen wirklich die richtige Taktik für diese Menschen ist (Spoiler: nein, eher nicht).
Gerade beim Kalorien zählen gibt es eine sehr offensichtliche Schwäche: die Versuche im metabolischen Labor mit streng kontrollierter Kalorienaufnahme bei den Versuchspersonen zeigt ungefähr die erwarteten Resultate – die Teilnehmer verlieren Körperfett oder zumindest Gewicht. Draußen im Alltag klappts aber weniger gut, weil dort nämlich keine Doktoranden rumspringen, die die Nahrung für Teilnehmer abwiegen und vorbereiten, und vom Schummeln abhalten. Da hilft alle Theorie nicht, es muss halt auch in der Praxis gut funktionieren.
Und unter anderem deswegen sind Ernährungswissenschaften so schwierig – Theorie und Praxis können meilenweit auseinanderklaffen. Die Wissenschaftler wissen das im Prinzip und die Studienergebnisse sind eben auch nicht dafür gedacht, in deinem und meinem Alltag verwurstet zu werden. Jedenfalls in den meisten Fällen.
Ernährungsformen als Identität zu nutzen ist Schwachsinn
Dieses ständige vergleichen der Diätmodelle in den Medien und noch schlimmer, in den sozialen Netzwerken, verursacht Spannungen. Der Konkurrenzkampf, der sich in den letzten Jahren entwickelt hat, hat verursacht, dass sich abgeschlossene Gruppen bilden, die sich mit der Ernährungsweise ihrer Wahl identifizieren.
Der entstandene Wettbewerb fördert auch den Wunsch nach Unterscheidung und Abgrenzung von den anderen Gruppen. Es ist schon fast witzig, wenn man über die Jahre beobachtetet, wie die jeweiligen Ideale immer extremer werden.
In der Low Carb und Keto Ecke sind plötzlich ausnahmslos alle Kohlenhydrate der Teufel und Fett ist ein gratis Lebensmittel. Kalorien spielen keine Rolle, aber wer an einem Apfel riecht wird jämmerlich zugrunde gehen.
Die Kalorienzähler gehen ins andere Extrem: es herrscht Fettphobie, weil Fett ja die höchste Kaloriendichte hat, aber im Prinzip sind alle Lebensmittel gleich, Nährstoffe und Eiweißgehalt werden nicht beachtet. Hauptsache im Kaloriendefizit.
Wer dann einen sensiblen Mittelweg vorschlägt, sowas wie eine ausgewogene Ernährung mit leichtem Kaloriendefizit und etwas weniger Kohlenhydraten für die Blutzuckerkontrolle, der sitzt dann zwischen den Stühlen und wird nicht ernstgenommen. Wer Kompromisse nötig hat, muss schlechte Argumente haben, oder?
Ist natürlich Käse, aber extreme Positionen sind oft einfacher zu vertreten, das gilt nicht nur in der Politik.
Auch unsere offizielle Ernährungspolitik, die durch die DGE bestimmt und repräsentiert wird, ist ziemlich starrsinnig und hält überwiegend an überalterten Empfehlungen fest. Große Änderungen würden ja auch heißen, dass die letzten 40-50 Jahre Gesundheitspolitik mindestens teilweise falsch waren.
Diäten, auf das Wesentliche reduziert anstatt nur zwischen Kalorien oder Kohlenhydrate zu unterscheiden
Um eine Ernährungsumstellung oder eine zeitweilige Diät erfolgreich durchzuführen, ist es absolut notwendig uns auf die praktischen Aspekte zu konzentrieren. Und die Wissenschaft den Wissenschaftlern zu überlassen.
Letztendlich ist es relativ einfach: du nimmst dir ein Konzept, wie Low Carb, Keto, Kalorienbilanz oder was auch immer und probierst es aus. Nach 3-4 Wochen weißt du ob es für dich funktioniert oder nicht. Wenn nicht, dann musst du etwas ändern und weiter testen. Das klingt nicht besonders aufregend, ist aber tatsächlich die einzige echte Möglichkeit.
Es ist egal ob das Kind einen Namen hat, solange du deinen funktionierenden Weg findest. Das muss nicht Low Carb sein, das muss nicht Keto sein. Du musst dich auch nicht bis an dein Lebensende zwischen Kalorien oder Kohlenhydrate entscheiden. Und weder DGE noch Brigitte müssen begeistert sein. Nur du.
Also, reduzieren auf die wesentlichen Punkte heißt:
- Sättigung: wer ständig hungert, kann nicht lange durchhalten. Ein gutes Sättigungsgefühl ist der Schlüssel für langfristiges Durchhalten. Sättigung entsteht durch die Masse des Essens, aber auch durch die Nährstoffdichte.
- Proteinmangel vermeiden: über den Eiweißbedarf zum Abnehmen oder für ein gesundes Leben im allgemeinen herrscht auch wieder viel Uneinigkeit. Aber Eiweißmangel sorgt für Heißhunger, Mattigkeit und oftmals auch fehlende Befriedigung nach dem Essen. Außerdem dauert die Verdauung von Eiweiß relativ lange, was wieder die Sättigung verbessert. Als guter Richtwert gilt 1.5g pro KG Normalgewicht pro Tag, was allerdings deutlich über den vorgeschlagenen Mengen der DGE von 0,8g pro KG Körpergewicht liegt. Diese Empfehlung sehen wir eher als Untergrenze.
- „Trigger Foods“ vermeiden: als Trigger Foods gelten Lebensmittel, die dazu verleiten viel mehr zu Essen als gut und nötig wäre. Das sind Süßigkeiten, Knabberzeug, Fast Food für die meisten von uns – also leckere Sachen, die genau dazu designed sind, uns zum Futtern zu verleiten, und die meistens gleichzeitig viel Zucker, Kohlenhydrate und Fett enthalten, dafür aber weniger Eiweiß und Ballaststoffe, was die Sättigung verschlechtert. Trigger Foods können aber für jeden anders sein, viele Low Carber fallen auch gerne auf Nüsse und Käse rein 🤷♂️
Vor allem stark verarbeitete Lebensmittel sind gefährlich als Trigger, weil die Kohlenhydrate oft kurzkettiger und deswegen schneller ins Blut gehen, auch weil die Ballaststoffe entfernt werden.
Starke Verarbeitung allein ist aber noch kein Problem in sich für Trigger – niemand wird sich zB an Eiweißpulver überfressen. In Kombination mit zusätzlichen Komponenten wie extra Salz, Zucker und Fett wird eine Falle draus.
Und jetzt?
Es gibt keine absolute Wahrheit zum Thema Ernährung. Auch nicht, ob nun Kalorien oder Kohlenhydrate zählen besser ist. Genauso helfen Diätstudien der Privatperson nicht wirklich weiter. Wichtig ist herauszufinden, was bei dir funktioniert und was nicht und dabei nicht Modetrends hinterherzulaufen.
Wie ist es bei dir, wie hast du herausgefunden, welche Ernährung für dich richtig ist und funktioniert und welche ist das? Schreib’s in die Kommentare, wir freuen uns drauf! Wir sehen uns nächste Woche wieder!
Petra
Thursday 1st of December 2022
Das war mal ein richtig guter Artikel zum Thema Ernährung! Ausgewogen und informativ! Danke!